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Die Toten von Marburg

Neubuch

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Beschreibung

Prolog Die Erkenntnis, welche Person hinter all den Morden steckt, legt sich nicht sanft auf mich, sondern trifft mich mit der Wucht eines Steinmagieschlags. Ich muss meine eigene Magie nicht befragen, um festzustellen, dass all das auf einmal fürchterlich Sinn ergibt. Es war die ganze Zeit da, direkt vor unseren Nasen. Vor unseren Augen und Ohren, doch wir sahen nicht hin und wir hörten nicht zu. Mir ist schwindelig. Meine Gedanken kreisen. Wie viele könnten noch leben, wenn wir unseren verdammten Job besser gemacht hätten? Wenn, falls, hätte. Dann, wie ein Lichtstrahl, der finstere Gewitterwolken durchbricht, ein Gedanke: Einen von ihnen kann ich retten! Und mehr muss ich auch gar nicht retten! Nur den nächsten Mann und damit sie alle. Ich renne los. Kapitel 1Eins Die Person, die an mir vorbei ins Badezimmer wankt, bietet keinen erfreulichen Anblick. Ihr Haar ist fettig und verknotet. Unter ihren Augen sind tiefe Ränder. Ihre Kleidung ist ungepflegt, ihr Geruch streng. Ihr Blick ist leer und lässt nicht erkennen, ob sie mich überhaupt wahrgenommen hat. Ihre Schritte wirken unsicher, sind es aber nicht. Nur unendlich müde. Ich reibe mir die Augen in dem Versuch, das Unbehagen, das die Schwester meiner Mitbewohnerin Frenja in mir auslöst, abzuschütteln. Ich weiß, dass Antje nichts dafür kann. Sie wurde Opfer einer der grausamsten Taten, zu der je ein Mensch im Goldenen Reich fähig war. Dennoch. Meine Magie, so unförmig und ungenau sie auch sein mag, reagiert hochempfindlich auf alles, was nicht in Ordnung ist. Sei es eine plumpe Lüge, eine kleine Unehrlichkeit, wie der ungeliebten Nachbarin einen guten Tag zu wünschen oder eben das Unwohlsein anderer Personen. Wenn etwas nicht im Einklang ist, fühlt sich mein ganzer Körper falsch an. Dann schieben sich schwarze Wolken vor mein Gemüt, mein Magen fängt an zu grummeln. Je falscher die Situation, desto größer meine Übelkeit. Nein, das ist so auch nicht richtig. Ein kleiner Schwindel versetzt zwar meine Magie in Alarmbereitschaft, wirkt sich aber noch nicht groß auf mein Gemüt aus. Ich fühle die Lüge, registriere sie und das war`s. Komme ich aber beispielsweise in einen Raum, in dem kurz zuvor ein Unglück stattgefunden hat, könnte ich mich an Ort und Stelle übergeben. Genau die Wirkung hat Frenjas Schwester auf mich. Nichts an oder in ihr ist mehr in Ordnung: Körper, Seele und Geist. Ihr Herz. Nichts ist mehr so, wie es sein sollte. So leid sie mir auch tut, wünschte ich, sie würde nicht so oft bei uns schlafen. Ich höre Frenja, bevor ich sie sehe. Der schmale Flur, der die Zimmer miteinander verbindet, knarrt an einigen Stellen. Es erstaunt mich immer wieder, dass bislang jede Besucherin in unserer Wohnung beim Entlangschreiten des Flurs ein eigenes Klangmuster erstellt hat. 'Guten Morgen, Fran.' 'Guten Morgen, Magret.' Frenjas Stimme klingt angespannt. Wie immer, wenn Antje da ist oder wir über sie reden. Kein Wunder. Ohne ein weiteres Wort greift Frenja zu der frisch gefüllten Teetasse, die ich ihr rüberschiebe. Nimmt einen Schluck und seufzt. 'Sie hat es wieder getan.' 'Traumbringer?', frage ich, obwohl ich bereits die Antwort kenne. Nicken. 'Und du hast sie ihr wieder bezahlt.' Unsere dem Inhalt nach vorwurfsvollen Worte klingen emotionslos. Kein Wunder: Wir haben sie schon so oft gesagt, uns gestritten, versöhnt, zusammen geweint und die Welt verflucht. Sämtliche Gefühle, die mit der Situation aufkommen, sind aufgebraucht. Es ist immer dasselbe: Frenja wird spät abends von ihrer weinenden Schwester gerufen. Und kommt dann mit schuldbewusstem Blick und Antje im Arm zurück. Der Traumbringer ragt ein Stück aus ihrer Jackentasche heraus, ganz so, als wolle Frenja sagen: 'Hier, Magret, siehst du? Immerhin machen wir es nicht heimlich!' Ich stehe mit stummem Blick da und kann trotz all der Disziplin, die mir Heidrun und meine Ausbilderinnen der Garden beigebracht haben, nicht verhindern, dass ich erst den Kopf schüttele und dann schicksalsergeben die Augen schließe. Ich verstehe sie ja. Hätte ich erlebt, was Antje über sich ergehen lassen musste Dennoch: Das ist doch kein Leben! Ständiger Taumel zwischen bitterschwarzem Abgrund und der seelenlosen Apathie, die mit dem regelmäßigen Konsum der Traumbringer einhergeht. Was Antje braucht, ist eine Seelenärztin. Zwar war sie auch einmal da, aber es war ihr zu schmerzhaft, all das Erlebte aufzuarbeiten. Also flüchtet sie lieber. 'Das ist feige!', habe ich zu Frenja gesagt und sie hat eine Woche lang nicht mehr mit mir geredet. Weil sie wusste, dass ich recht hatte. Wir trinken schweigend unseren Tee. Aus dem Badezimmer kommen platschende Geräusche. Da Antje keine Magie hat, um sich Wasser aus der Leitung zu ziehen, erledige ich das immer für sie. Sobald ich höre, dass sie sich regt, fülle ich einen großen Eimer für sie und erwärme den Inhalt. Ein Dienst, den Frenja und ich auch einander erweisen, wenn die eine ihre monatlichen magiefreien Tage hat. Meine Freundin und Mitbewohnerin stellt mit einem dumpfen Laut ihre Tasse ab. 'Ich muss los. Die Goldene will heute mit uns den Ablauf des Besuchs nächste Woche durchgehen. Morgen soll dann der Probelauf stattfinden.' Sie gähnt. 'Als ob wir das nötig hätten. Aber du kennst sie ja!' Das stimmt so nicht und das weiß Frenja. Zwar sind wir beide Goldene Gardistinnen, doch als Spezialermittlerin bekomme ich die mächtigste Hexe im Goldenen Reich oft nur aus der Ferne zu Gesicht. Frenja hingehen gehört zur persönlichen Leibgarde der Goldenen. Wäre ihre Schwester nicht, würde sie wahrscheinlich im Goldenen Schloss leben, das hoch über den Dächern Annaburgs thront. 'Nein, ich kenne sie nicht', sage ich daher und bemühe mich um einen frotzelnden Ton, um die düstere Stimmung zu vertreiben. 'Im Gegensatz zu euch sind wir ja schließlich ständig unterwegs. Du weißt schon, um so unwichtige Sachen wie komplizierte Verbrechen oder Morde aufzuklären, anstatt den ganzen Tag im Schloss rumzuhängen.' Frenja grinst. 'Wenn du mit Rumhängen meinst, dass wir die wichtigste Person im ganzen Goldenen Reich beschützen, während ihr irgendwelche entlaufenen Ehemänner wieder einsammelt und alten Männern über die Straße helft ' Antje betritt die Küche und unterbricht damit unser freundinnenschaftliches Gestichel. Zwar bin ich froh, dass sie sich mal wieder gewaschen hat, aber ohne frische Kleidung haftet trotzdem der Geruch an ihr. Von Nahem sieht Antje noch erbärmlicher aus. Ich biete ihr einen Tee und Rührei an, doch sie schüttelt nur den Kopf. 'Kann ich mich wieder in dein Bett legen und heute hierbleiben?', fragt sie mit flehendem Blick auf ihre Schwester. Frenja schaut mich an, ich schüttele den Kopf. Auch die Diskussion haben wir schon mehrfach lebhaft geführt. Ich dulde keine Traumbringersüchtige in meiner Wohnung, wenn nicht eine von uns da ist, um sie zu beaufsichtigen. 'Zieh dich an, Kleine', sagt Frenja sanft. 'Ich bringe dich auf dem Weg zur Arbeit nach Hause.' Antje nickt, die Enttäuschung ist ihr anzusehen. Verständlich, denn ihr eigenes Zuhause ist nicht viel mehr als ein Loch, das vor Schmutz nur so starrt. Frenja verbringt einen Großteil ihrer Wochenenden damit, alles zu putzen und für sie einzukaufen, nur um eine Woche später die Wohnung wieder dreckig vorzufinden und die verdorbenen Lebensmittel wegzuwerfen. 'Ich werde sie niemals im Stich lassen!', sagt Frenja. Darauf erwidere ich: 'Aber genau das tust du, wenn du ihr Verhalten auch noch unterstützt! Du nimmst ihr damit jegliche Verantwortung für ihr Leben ab - wie soll sie da jemals wieder auf die Beine kommen?' 'Du verstehst das nicht, du hast ja keine Geschwister! Soll ich sie etwa sterben lassen?', brüllt Frenja und presst die Lippen zu einem schmalen Spalt zusammen. Das ist ihr äußerster Ausdruck dessen, was sie 'Schwäche zeigen' nennt. Jede von uns versteht die andere und kann dennoch nicht aus ihrer Haut. Wir sehen uns jeweils selbst im Recht. Als Frenja und Antje weg sind, versuche ich, die friedliche Stimmung wieder aufle...

ISBN:

9783988270122
3988270121

Erscheinungsdatum:

22.03.2024

Bindung:

Softcover, Paperback
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