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Die Zeit der Familiengründung

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Beschreibung

1 Einleitung 'The time is out of joint: - O cursed spite, That ever I was born to set it right.' William Shakespeare, Hamlet, 1604 Die Krise der Familie und eine aus den Fugen geratene gesellschaftliche Zeitordnung bilden zwei Seiten ein und derselben gesellschaftlichen Grunderfahrung, die mit dem Übergang zur Moderne ins kollektive Bewusstsein rückt und nach einer politischen, kollektiv bindenden Gestaltung ruft. Zum einen wird mit der Ausdifferenzierung von Wertsphären mit je eigenen, inkommensurablen Codes die Selbstverständlichkeit einer intergenerationalen Abfolge in einer festgefügten Gesellschaftsordnung destruiert; zum anderen erfahren Lebensläufe einen ungemein hohen Grad von Standardisierung, der mit den Unwägbarkeiten des Familienlebens in vergangenen Epochen (wie Kindersterblichkeit, geringe Lebenserwartung, plötzlicher Tod des Partners) kaum vergleichbar ist. Die Moderne als Verzeitlichung des Lebens und von Lebensformen, als Standardisierung wie Rationalisierung von Abläufen und sozialen Prozessen formt Familie zu einem Gebilde, das bestimmte und prinzipiell erwartbare Phasen des Zusammenlebens (einen Familienzyklus) durchläuft. Die zeitliche Ordnung von Familie rückt gegenwärtig neu in den Fokus einer politischen Regulierung. So werden mit dem Achten Familienbericht unter dem Titel Zeit für Familie (BMFSFJ 2012) sowohl die Alltagsorganisation des Familienlebens (Alltagszeit) als auch die zeitliche Lagerung von Fürsorgephasen im Lebenslauf (Lebenszeit) einer politischen Gestaltung zugeführt. Verortet man diese Thematisierung kursorisch in die längerfristige Entwicklung des Wohlfahrtsstaates, werden zumindest zwei Aspekte deutlich: Sie kommt erstens parallel zum Geltungsverlust des bürgerlichen Familienmodells und seiner impliziten bis expliziten politischen Förderung auf. Und zweitens scheint darin eine veränderte Auffassung staatlicher Steuerung des Lebenslaufes hindurch: Nicht primär oder zumindest nicht allein die 'äußeren' Bedingungen, also die Herstellung von kontinuierlichen Lebensphasen und ihrer geordneten Reihenfolge, sondern die Haltungen der Leute gegenüber dem Verlauf ihres Lebens sind es, die als gestaltbar bewusstwerden. Die gegenwärtig zu beobachtende Neuverhandlung von Zeit erscheint symptomatisch für einen Formenwandel des wohlfahrtsstaatlichen Arrangements, im Zuge dessen ein etabliertes Verständnis des Verhältnisses von Familie und Staat sowie politisch normalisierte Lebenslaufmuster gleichermaßen fragwürdig werden. Transformationen im Verhältnis von Familie und Staat Der Kontext der vorliegenden Untersuchung bilden die gesellschaftlichen und gesellschaftspolitischen Veränderungsprozesse, die in den entwickelten Wohlfahrtsstaaten und so auch in Deutschland seit den 1980er Jahren und verstärkt seit der Jahrtausendwende zu beobachten sind. Diese Wandlungsprozesse vollziehen sich schleichend und längerfristig, haben gleichwohl grundlegende Veränderungen zur Folge; es handelt sich um eine 'gradual transformation' (Streeck/Thelen 2005: 9; vgl. Pierson 20030F ) des wohlfahrtsstaatlichen Arrangements, eine 'grundlegende Veränderung [], die gerade auch innerhalb stabiler institutioneller Ordnungen vollzogen [wird]' (Götsch/Kessl 2017: 188; vgl. Lessenich 2003: 195; vgl. Kessl 2013). Paradigmatisch sind diese Wandlungsprozesse insofern, als dass sich mit ihnen nicht nur die institutionellen Regime, sondern auch die Ideen, von denen diese geleitet werden, also die Begründungsmuster von Sozialpolitik, wandeln (Hall 1993): An Bedeutung gewinnen insbesondere die Ideen Aktivierung, Eigenverantwortung und Autonomie, die gerade in 'konservativen', auf Statussicherung zielenden und insbesondere geldlastigen Sozialstaaten ein Novum darstellen (Klammer u.a. 2017). Stephan Lessenich (2008) fasst dies als eine 'Neuerfindung des Sozialen' und meint damit nichts Geringeres als eine Umkehr der Verantwortungs- und Verpflichtungsverhältnisse zwischen Individuum und Gesellschaft, wonach dem/r Einzelnen eine Verantwortung nicht nur für die eigene Wohlfahrt, sondern für das Kollektiv, für die Produktion des gemeinen Wohls übertragen wird (Lessenich 2012). Diese Verschiebungen sind allerdings von inhärenten Widersprüchen und Ungleichzeitigkeiten gekennzeichnet: sei es dergestalt, dass Leitbilder in Konkurrenz zueinander treten oder in Gestalt von 'Spannungen zwischen institutioneller Ausgestaltung und den vorherrschenden normativen Leitbildern oder sozialen Praktiken' (Bogedan u.a. 2009: 102; vgl. Betzelt/Bothfeld 2011); Ungleichzeitigkeiten, die in Reform- und Umbruchsphasen wahrscheinlich werden. Aber nicht nur die offensichtlichen Widersprüche zwischen institutioneller Ausgestaltung und normativer Begründung, sondern auch die konstitutive Offenheit von Regelkomplexen, die zwar den Rahmen der Praxis, aber nicht die Ausführung von Regeln festlegen (Streeck/Thelen 2005: 14), sind dabei immer wieder Ausgangspunkt von kreativen Impulsen innerhalb des Wandels. Sozialstaatliche Transformation ist so gesehen kein nahtloser Austausch von Ideen und Strukturen, sondern geht mit einer 'Fragmentierung' (Bogedan u.a. 2009) des institutionellen Regimes einher. Vor diesem Hintergrund lässt sich Wandel hinsichtlich seiner Ursachen wie Wirkungen kaum in kurzfristigen Zeithorizonten ('short-short' Fokus im Sinne von Pierson 2003: 179) erfassen, ebenso wenig wie angenommen werden kann, dass er allein auf Ebene der Leitideen abläuft. Die mehr oder weniger weitreichende und schleichende Umsetzung dieser Paradigmen - von Reformen sozialpolitischer Instrumente bis zur Nutzung oder Nichtnutzung sozialpolitischer Leistungen - und die entsprechenden alltäglichen Umgangsweisen unter veränderten Bedingungen bilden ein Untersuchungsfeld, das von der Transformationsforschung nicht ignoriert werden kann. Es muss daher verwundern, dass die Wohlfahrtsstaatsforschung immer wieder die Annahme einer unmittelbaren und kausalen Entsprechung von makro-sozialen Strukturveränderungen und Mikrostrukturen implizit zu Grunde legt (Dörre u.a. 2013: 16 ) und so empirische Analysen von Lebenspraxis als eigenständige Strukturierungsebene sozialstaatlicher Transformation weitgehend fehlen oder methodisch und/oder konzeptionell zu kurz greifen. Ausnahmen im Umkreis der Wohlfahrtsstaatsforschung finden sich in der AdressatInnen- und NutzerInnenforschung, die Lebensführungen systematisch rekonstruieren (vgl. Graßhoff 2013; Bitzan/Bolay 2013; 2017; Klammer u.a. 2017; Gille/Klammer 2017). Bezogen auf die verschiedenen AdressatInnengruppen der Sozialpolitik und der Sozialen Arbeit - wie zum Beispiel junge Erwerbslose, Eltern, MigrantInnen, Pflegebedürftige - verfolgte das Promotionskolleg Leben im transformierten Sozialstaat das Programm, einer solchen mehrdimensionalen Transformation nachzugehen. Wie verändern sich also Alltagspraxen in einem veränderten und sich verändernden wohlfahrtsstaatlichen Arrangement? Die vorliegende Untersuchung fokussiert Familienpolitik als ein wesentliches Feld dieser Transformationen, als ein Feld, in dem Eltern neu und auf veränderte Art und Weise adressiert werden. Transformationsprozesse vollziehen sich in post-industriellen Gesellschaften grundlegend im Verhältnis von Familie, Markt und Staat (Haller 2012; Streeck 2011): Familie bildet in sogenannten 'konservativen' Wohlfahrtsstaaten einen primären Ort der Wohlfahrtsproduktion, was historisch über die normativ verbindliche Etablierung eines geschlechtsspezifischen Musters häuslicher Arbeitsteilung in der Bundesrepublik im Laufe des 20. Jahrhunderts zeit- und teilweise realisiert wurde (Lessenich 2003). Dieses politisch stabilisierte Arrangement der Normalfamilie, in der Pflege- und Kinderbetreuungsaufgaben unentgeltlich von Frauen geleistet werden, unterliegt grundlegen-den Veränderungen, die in regimeübergreifenden Tendenzen der Auslagerung von Sorge- und Pflegetätigkeiten an Markt und Staat zum Ausdruck kommen. Die Wohlfahrtsstaatsforschung erfasst diese als De-Familisierung (oder auch: De-Fa...

Zustand

Ungelesenes Mängelexemplar mit kleineren Beschädigungen durch Lagerung und Transport; inhaltlich unversehrt! Mit Mängelstempel auf unterem Buchschnitt gekennzeichnet.

ISBN:

9783593511856
3593511851

Erscheinungsdatum:

17.01.2020

Bindung:

Softcover, Paperback