Göttliche Gier in St. Peter-Ording

Prolog Niemals würde er den Tag vergessen, an dem er die größte Fehlentscheidung seines Lebens traf. Jahrelang, genau genommen sein gesamtes Leben hatte er auf dieses Ziel hingearbeitet. Schritt für Schritt war er seinem Traum nähergekommen, hatte Entbehrungen in Kauf genommen und Disziplin aufgebracht. Viel Disziplin! Während den meisten seiner Kommilitonen das Wissen ohne große Mühe zuflog und sie sich nächtelang mit Mädchen auf ausschweifenden Partys amüsierten, saß er in seinem engen Zimmer und paukte sich Stunde um Stunde die anatomischen und chemischen Zusammenhänge ein. Ohne von einem Stipendium oder elterlichem Zuschuss gesegnet zu sein, hatte er sich außerdem durch alle möglichen miesen Jobs gekämpft, um die Studiengebühren und das Zimmer im Studentenheim bezahlen zu können. Das hatte ihm nichts ausgemacht. Er wusste ja, wofür er es tat, hatte all die harten Jahre sein Ziel klar vor Augen. Seine Überzeugung, dieses Ziel erreichen zu können und eines Tages als anerkannter Chirurg ein viel angenehmeres Leben zu führen, ließ ihn alles aushalten, was dafür nötig war. Es lag allein in seiner Hand, da war er sich sicher. Nie wäre er auf die Idee gekommen, wie schnell sein Lebenstraum zerplatzen könnte. An einem einzigen Tag. Wie wenig Loyalität ihm im Ernstfall entgegengebracht wurde. Dass jeder nur an sich und seine eigene Karriere dachte und eine einzige falsche Entscheidung alles zerstörte. In einsamen Nächten und dunklen Stunden nagten die Zweifel an ihm. Nagten die Zweifel an den Schlüssen, die er vielleicht viel zu schnell gezogen hatte. War er sich nicht mehr sicher, ob er hätte anders handeln sollen. Wäre das Ergebnis dann ebenso katastrophal gewesen? Hatte er wirklich in einer Zwickmühle gesteckt? Hätte er sich wehren und weiterkämpfen sollen? War es jetzt zu spät, um das Rad noch einmal zurückzudrehen? Die Fragen quälten ihn unaufhörlich - insbesondere in einsamen Stunden in der Nacht. Nur selten fühlte er sich seit diesem verhängnisvollen Tag stark genug, um überhaupt darüber nachzudenken, wie er sein Leben erneut entscheidend ändern könnte. Trotzdem wartete er auf seine Gelegenheit. Vielleicht bot das Leben auch ihm eine zweite Chance, wenn er einfach ausreichend Geduld aufbrachte.