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Mistelzweig und Dudelsack

Neubuch

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Details zum Buch

Beschreibung

Colin knurrte leise und zog dabei sein Schwert aus der Scheide. Er brauchte dringend etwas, um daran seine Wut auszulassen, bevor er an ihr erstickte. In seiner unmittelbaren Nähe befand sich eine Baumgruppe mit drei dicken alten Eichen, deren Zweige sich ächzend unter der Last des feuchten Schnees bogen. Immer wieder fielen große Schneeschollen herab, die auf seiner Kleidung oder sogar auf seinem Kopf landeten, so als wollten die Bäume ihn ebenfalls aus ihrer Nähe vertreiben. War er so unfähig, dass selbst die Natur nichts mit ihm zu schaffen haben wollte? Jeder Brocken Schnee, der auf ihm landete, fühlte sich wie eine schallende Ohrfeige an. Das machte ihn noch wütender. Colin trat näher an die Bäume heran. Wenn selbst sie ihn verspotten wollten, dann hatten sie es nicht besser verdient. Rasend vor Zorn hob er sein Schwert und schlug mit der Klinge wie mit einer Axt auf den Stamm einer der Eichen ein. Durch die Erschütterung, die seine Hiebe verursachten, fiel nur noch mehr Schnee auf ihn hinab, was ihn immer wütender machte. Schließlich war er wie von Sinnen. Einem Schlag folgte der nächste, so dass sich bereits eine tiefe Kerbe in dem Stamm bildete. 'Haltet ein!' Durch sein vor Wut verzerrtes Gehör nahm er die Stimme kaum wahr, dennoch hielt er für einen Moment inne. Eine Stimme mitten im Wald, noch dazu bei diesem Wetter, das konnte nur seiner Einbildung entspringen. Niemand außer ihm selbst würde sich bei diesem Wetter in den Wald wagen. Instinktiv sah er sich um, doch da war niemand. Er hatte demnach recht, die Stimme war nur ein Produkt seiner Fantasie. Dennoch verharrte er einen Moment ruhig, bevor er erneut auf den Baum einschlug. 'Ihr sollt einhalten!', vernahm er daraufhin erneut die Stimme. Diesmal war sie deutlicher zu hören und nicht nur das, sie klang so eisig wie das Wetter. Abermals hielt er inne und sah sich um. In einiger Entfernung stand ein altes Mütterchen und blitzte ihn wütend aus zusammengekniffenen eisblauen Augen an. Obwohl er sie um mindestens eine Haupteslänge überragte und sie nur einen einfachen langen Holzstab in der Hand hielt, schien sie keinerlei Angst vor ihm und seinem Claymore zu haben, was merkwürdig war, denn normalerweise konnte man insbesondere in den Augen der Alten immer eine gewisse Furcht vor Kriegern, wenn sie einem begegneten, erkennen. Colin sah sich die Alte etwas genauer an. Sie trug ein zerschlissenes, graues Gewand. Vermutlich gehörte sie zu den Pächtern, die ihre Katen in der näheren Umgebung hatten. Ein dunkelbraunes, fadenscheiniges Plaid lag auf ihren Schultern, mit dem sie ihr Haar, das so weiß wie der Schnee war, bedeckt hatte. Anhand ihrer Gesichtszüge konnte man ihr ansehen, dass sie bereits etliche Winter erlebt hatte, und dennoch wirkte ihre Körperhaltung alles andere als alt. Vielmehr machte sie auf ihn den Eindruck, dass sie, sofern er ihrem Befehl nicht Folge leistete, bereit dazu war, den Baum mit ihrem Stock zu verteidigen. 'Mütterchen, was schert Euch der Baum. Ist es nicht besser, seine Wut an ihm auszulassen als an Euch?', gab er nach einer Weile zurück, in der sie sich beide wie zwei kampfbereite Krieger angestarrt hatten. 'Ihr seid also wütend', bemerkte die Alte in einem Tonfall, der ihm einen eisigen Schauer über den Rücken jagte. 'Glaubt mir, wenn ich Euch sage, dass ich durchaus in der Lage wäre, Euch die Stirn zu bieten und mich gegen Euch zu behaupten. Im Gegensatz zu dem hilflosen Geschöpf, das Ihr zu Eurem Opfer erwählt habt. Hört Ihr nicht seine Schreie?' Colin sah sie fragend an. 'Seit wann können Bäume schreien?' Die Alte legte ihren Kopf schief und blitzte ihn erneut wütend an, dabei lag noch etwas anderes in ihrem Blick, was er nicht genau deuten konnte. Unglaube oder Erstaunen traf es wohl am ehesten. 'Was seid Ihr nur für ein elender Barbar. Nur weil Ihr es nicht hören könnt, heißt das nicht, dass es nicht gegenwärtig ist. Das Leid dieses Baumes ist so groß, dass er mich zu Hilfe gerufen hat.' Jetzt starrte Colin die Alte ungläubig an. 'Was soll das heißen, er hat Euch zu Hilfe gerufen? Wie kann ein Baum rufen? Zudem, wie solltet Ihr in der Lage sein, ihm zu helfen? Wenn ich Euch so betrachte, dann schätze ich eher, dass Ihr wider Euren Worten kaum fähig seid, Euch selbst zu schützen. Anscheinend wollt auch Ihr mich verhöhnen, altes Weib. Aber Ihr habt Euch den Falschen für Euer Spiel ausgesucht', schrie er sie an. Colin war jetzt erneut so wütend, dass er am liebsten auf sie eingeprügelt hätte. Allein sein Respekt vor dem Alter hielt ihn davon ab. Vielleicht war sie ja aufgrund ihres Alters ein wenig verwirrt, denn für ihn ergab alles, was sie ihm sagte, keinerlei Sinn.

ISBN:

9783989149915
3989149911

Erscheinungsdatum:

03.10.2024

Bindung:

Softcover, Paperback
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