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Remoire

Neubuch

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Beschreibung

Gestohlene Kinder 'Ein gebrochenes Versprechen, ein gebrochenes Herz - doch welcher Verrat mag der Größere sein? Warst du es, der schließlich genau das wurde, was er geschworen hatte niemals zu sein? Oder war ich es, weil ich dir vorenthielt, was dich hätte retten können?' 'Warum?' Es war das einzige Wort, das Reese immer und immer wieder durch den Kopf schoss, während er der Straße tiefer in die belagerte Stadt folgte. Es herrschte finstere Nacht, der Mond war durch die dichten Rauchschwaden verborgen, die sich von den brennenden Häuserruinen bis in den Himmel emporrankten. Das Feuer hatte sich rasch ausgebreitet und tauchte die gesamte Szenerie in seinen gespenstischen Schein. Von überall her hörte er die panischen Schreie derer, die versuchten, dem Flammenmeer zu entkommen. Befehle wurden durch die Straßen gebrüllt. Nur wenige Schritte von ihm entfernt zerbarst ein Fenster und ein lebloser Körper prallte vor ihm auf den Boden. Das Feuer war nur das geringste ihrer Probleme. 'Bringt mir die Kinder. Jedes Einzelne, das ihr finden könnt. Tötet die Anderen. Lasst niemanden am Leben!' Der Befehl des Namenlosen hallte noch immer in seinen Gedanken nach und Reese erinnerte sich an den Beginn des Überfalls. Aus der Sicherheit des bewaldeten Plateaus, das die Stadt im Talkessel umschloss, hatte er beobachtet, wie die ersten Angreifer sich im Schutz der Dämmerung heranschlichen. Es war in den vergangenen Wochen vermehrt zu Raubzügen gekommen, was den ansässigen Fürsten allerdings nicht zu beunruhigen schien. Die Tore blieben weit geöffnet. Eine Entscheidung, die ihm in diesem Moment zum Verhängnis geworden war. Die wenigen Wächter an den Mauern fielen wie die Fliegen, ohne auch nur die Chance, um Verstärkung rufen zu können. Ihr Blut tränkte bereits die Rillen der Pflastersteine, als sich weitere Gestalten von der Hochebene aus näherten. Über hundert grauhäutige Caé mit leuchtend roten Augen, spitzen Hörnern und scharfen Krallen, fielen in die Stadt ein. Sie überwältigten den letzten Widerstand an den Toren, setzten ganze Straßenzüge in Flammen und rissen alles nieder, was ihnen in die Quere kam. So hatte es begonnen. Haus um Haus, Straße um Straße trieben die Angreifer die Bewohner Éndahs zusammen. Kinder wurden schreiend vor die Stadtmauern geschleift und weinende Babys ihren Müttern entrissen. Ihre Eltern fanden meist einen schnellen Tod, sei es durch die scharfe Klinge eines Schwertes oder durch die Klauen und Zähne eines Ungeheuers. Reese spürte Wut aufkommen angesichts dieser Grausamkeiten, unterdrückte sie allerdings. Zwar gehörte er selbst zu den Generälen des Namenlosen, aber im Gegensatz zu den anderen Befehlshabern, besaß er noch ein Gewissen. Das war auch der Grund, warum er sich jetzt in der Stadt befand, statt auf seinem ursprünglichen Posten. Ihm war der ganze Überfall so zuwider. 'Warum, warum beim Vater tut er das?', fragte er sich zum wiederholten Male und beschleunigte seine Schritte. Er musste sich beeilen, wenn er das Schlimmste verhindern wollte. Neben ihm brach eine Tür aus den Angeln und einer der Soldaten trat aus dem Inneren des Wohnhauses. Sein Äußeres bot Reese ein vertrautes Bild: gräuliche Haut, rot leuchtende Augen und spitze eingedrehte Hörner, die zwischen einem schwarzen Haarschopf hervorblitzten. Als der Mann ihn erkannte, erstarrte er und sein Aussehen veränderte sich. Kopfauswüchse, Zähne und Klauen verschwanden und die Haut färbte sich rosig. Unwissende hätten ihn für einen Menschen gehalten, doch die immer noch rot schimmernden Augen verrieten den Caé. 'General!' Der Soldat nahm pflichtbewusst Haltung an und salutierte. Er war kräftig gebaut, aber Reese überragte ihn dennoch um einen Kopf. 'Hier läuft alles planmäßig. Die restlichen Caé meiner Einheit haben die Stadt bereits verlassen. Ich soll nach Überlebenden suchen.' Reese musterte sein Gegenüber. Der Mann stank nach Schweiß und an den Spitzen seiner Finger blitzten immer mal wieder Krallen hervor. Ein eindeutiges Zeichen für dessen Angespanntheit. 'Kein Grund, nervös zu sein, Soldat', entgegnete Reese und bemühte sich um ein beruhigendes Lächeln. 'Es ist alles gut. Was auch geschieht, es ist wichtig, dass Ihr die Kontrolle behaltet und nicht in einen Blutrausch verfallt. Selbst wenn Ihr in Lebensgefahr schwebt.' Ertappt rieb sich der Angesprochene über die Hände. 'Natürlich General. Ich werde mich bemühen.' Er salutierte erneut. 'Ich werde nun gehen und nach meinen Leuten suchen. Danke für Eure Zeit.' Dann eilte er in Richtung der Stadttore. Reese sah ihm einen Moment hinterher, bevor er seinen Weg fortsetzte. Dem jungen Kerl war seine Nervosität nicht zu verübeln. Es war wahrscheinlich sein erster Raubzug und Reese befürchtete, es würde nicht der Letzte bleiben. Er wollte lieber nicht darüber nachdenken, wie viele der Caé im Angesicht von Verletzung und Tod die Kontrolle über ihre monströse Form verlören und damit in einen fast unumkehrbaren Zustand der Mordlust verfallen würden. Er hätte sich niemals mit diesem unberechenbaren Volk verbündet. Aber dies war nur eine der vielen Entscheidungen seines Herrn, die ihm widerstrebten. Wenn er entscheiden dürfte, gäbe es überhaupt keinen Angriff, keine Morde und keine gestohlenen Kinder. Je weiter er sich dem Stadtinneren näherte, desto mehr schmerzte ihn die Brutalität seiner eigenen Soldaten, die er an jeder Straßenecke beobachten konnte. 'Los, raus mit dir zum Tor!', schrie ein gehörnter Mann einem kleinen Jungen zu, der weinend sein Spielzeug an den Körper presste. Reese konnte sehen, wie sich eine Frau gegen die Soldaten wehrte und drängte, zu dem Kind zu kommen. Sie musste wohl die Mutter des Jungen sein. 'Nein! Lasst ihn in Ruhe! Nehmt uns, aber verschont ihn!', flehte sie und versuchte, sich auf den Bewaffneten zu stürzen. 'Halt die Klappe Weib, sei froh, dass wir den Kleinen nicht zuschauen lassen, wenn wir uns um dich kümmern.' Reese schluckte und vergrub die Hände im Stoff seiner Hose, damit er nicht in Versuchung geriet, sein Schwert zu ziehen. Er hasste diese Grausamkeit und zwang sich wegzuhören, richtete fest den Blick auf die Straße. Außer einiger zertrampelter Blumen auf seinem Weg, erinnerte nichts mehr an das prachtvolle Juwel einer Stadt, das er von früher kannte und das Éndah einst gewesen war. 'Warum nur lässt er sie das tun?' Mit zusammengebissenen Zähnen eilte er weiter. Das Straßennetz verlief sternförmig, sodass er das Zentrum nicht verfehlen konnte. Es war dort in der Mitte, wo ein Schloss mit weißen Zinnen stand. Dies war das eigentliche Ziel ihres Überfalls, die Heimat der Fürstenfamilie. Genau da würde er auch seinen Herrn finden. Reese musste sich sputen, denn der Namenlose war vor allem hinter der Fürstin her. Würde die junge Herrscherin durch seine Hand fallen, es wäre niemand mehr übrig, um ihn aufzuhalten. Vor Mordlust verzerrte Stimmen begleiteten sein weiteres Vorankommen: 'Lasst sie liegen, die ist tot.' 'Nehmt die Kleine. Der Bruder ist zu alt.' 'Löscht sie aus. Ihr kennt euren Befehl.' Reese kämpfte gegen die Übelkeit an, die die Geräusche in ihm hervorriefen. 'Lauf!' Es war die Stimme eines Mädchens, die ihm endgültig die Aufmerksamkeit von seinem Ziel entriss. Er erhaschte einen kurzen Blick auf zwei Kinder, ein älteres Mädchen mit einem kleineren Jungen an der Hand, die panisch durch eine Seitengasse flüchteten. Ein Caé war ihnen dicht auf den Fersen. Sogar von weitem sah Reese, dass dieser den Verstand verloren hatte. Schwarzes Blut rann aus den glühenden Augen, während er den beiden brüllend hinterher hetzte. Reese zögerte kurz und warf einen Blick auf das Schloss im Stadtzentrum, doch dann siegte sein Gewissen und er rannte, sein Schwert ziehend, in die Seitenstraße. Wenn er jetzt nichts unternahm, würde der Caé die Kinder bei lebendigem Leib zerfleischen. Fürstin Danae musste warten. Er stürzte um die nächste Ecke, wo er gerade noch sah, wie die Kleinen in ein Lagerhaus stolperten. Der Soldat setzte ihnen nach. Reese war in wenigen Schritte...

ISBN:

9783988270047
3988270040

Erscheinungsdatum:

25.03.2024

Bindung:

Softcover, Paperback
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